Kirchenrechtler verteidigt Haltung des Erzbistums Köln

"Vorwurf der Sabotage nicht belegt"

In einem Missbrauchsfall durch einen Priester hat eine Betroffene das Erzbistum Köln auf Schmerzensgeld verklagt. Dieses argumentiert, dass der Beschuldigte die Taten als Privatmann begangen habe. Das sieht auch Stefan Mückl so.

Priester mit einem Mobiltelefon / © leolintang (shutterstock)
Priester mit einem Mobiltelefon / © leolintang ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ist ein Priester ganz und gar Priester und damit 24 Stunden am Tag im Dienst? Oder hat er ein Privatleben mit Feierabend?

Prof. Dr. Stefan Mückl (PUSC)
Prof. Dr. Stefan Mückl / ( PUSC )

Professor Dr. Stefan Mückl (Professor für Kirchenrecht an der Universität Santa Croce in Rom): Natürlich hat der Priester auch ein Privatleben. Wenn er einen Bergausflug macht, tut er das offensichtlich als Privatperson. Aber grundsätzlich stimmt es natürlich, wenn gesagt wird, der Priester ist immer im Dienst. Wenn er um eine priesterliche Handlung gebeten wird – nehmen wir den klassischen Fall des Versehgangs – kann er das nicht mit der Begründung ablehnen, er habe jetzt aber Dienstschluss.

DOMRADIO.DE: Bis wohin geht im Fall des Priesters U. diese erwähnte Amtshaftung des Erzbistums und wo endet sie genau?

Stefan Mückl

"Die Amtspflichten des Priesters sind klar definiert."

Mückl: Anknüpfungspunkt für die Haftung ist die Verletzung einer Amtspflicht. Und die Amtspflichten des Priesters sind klar definiert: das Wort Gottes zu verkünden, die Sakramente zu verwalten, die allgemeine Pastoral und all das, was alles mit einem spezifischen Amt, etwa dem des Pfarrers, zu tun hat.

DOMRADIO.DE: Aber wie sieht es konkret aus? Hier haben wir eine Argumentation des Erzbistums, die sagt, er hat als Privatperson gehandelt. Andererseits wird bei den Priesterweihen darauf insistiert, ihr seid immer Priester, auch beim Einkauf im Supermarkt. Das Kirchenrecht schreibt den Priestern vor, immer Priesterkleidung zu tragen. Wie bekommt man diese Differenzen in der Argumentation miteinander vereint? 

Mückl: Ich kenne vergleichsweise wenig Priester, die auf ihrem Bergausflug Priesterkleidung tragen. – Aber davon abgesehen, die Fragestellung, ob ein Priester in einer konkreten Situation auch in amtlicher Eigenschaft gehandelt hat, hat sich nicht das Erzbistum Köln ausgedacht, sondern eine staatliche Instanz, das Landgericht Köln, hat sie aufgeworfen.

Stefan Mückl

"Das ist eine Rechtsfrage, über die das staatliche Gericht zu befinden hat."

Das Landgericht hat auf seine Zweifel hingewiesen, ob die Handlungen des Priesters U. – wie es im gesetzlichen Tatbestand der geltend gemachten Haftungsnorm heißt – "in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes" erfolgt sind. Das ist eine Rechtsfrage, über die das staatliche Gericht zu befinden hat. Auf den Vortrag des Erzbistums kommt es dafür nicht entscheidend an.

Kirchenrechtler kritisiert Erzbistum Köln

Hat ein Priester jemals frei? Banal scheint die Frage, doch in Köln könnte sie über 850.000 Euro Schmerzensgeld entscheiden. Kirchenrechtler Lüdecke hat dazu eine klare Meinung – und warnt vor einem Präzedenzfall.

Landgericht Köln (dpa)
Landgericht Köln / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke verweist auf das Recht der Kirche in Deutschland, über die Ausgestaltung ihrer Ämter selbst zu bestimmen. Daher könne auch das Gericht keinen anderen Maßstab über das Amt ansetzen und meint damit die ununterbrochenen Standespflichten des Priesters. Sie sind da offensichtlich anderer Auffassung?

Mückl: Es geht hier nicht um die Standespflichten des Priesters, sondern um die Anwendung des gesetzlichen Tatbestandes. Die sog. Amtshaftung, geregelt in Artikel 34 des Grundgesetzes, setzt ein Handeln in Ausübung eines anvertrauten öffentliches Amtes voraus. Denn nach allgemeinen Grundsätzen trifft die deliktische Haftung den Täter selbst. Diese wird nun bei der Amtshaftung auf den dahinter stehenden Rechtsträger, die Anstellungskörperschaft, übergeleitet.

Doch haftet der Dienstherr nur für das, was in einem räumlichen, zeitlichen und sachlichen Näheverhältnis zu der übertragenen öffentlichen Aufgabe steht. Soweit die hier zu klärende Voraussetzung des Tatbestandes. Genau darauf hat das Gericht hingewiesen und der Klägerseite aufgegeben, dazu ergänzend vorzutragen.

DOMRADIO.DE: Das Arbeitsverhältnis eines Priesters zu seinem Bistum oder zu seiner Ordensgemeinschaft ist von Abhängigkeit und Verzicht auf bestimmte Rechte geprägt, wie zum Beispiel die Selbstbestimmung des Wohnortes. Warum stehen das Bistum oder die Ordensgemeinschaft nicht umgekehrt auch in der Pflicht, wenn es um Verfehlungen der einzelnen Person geht? Man denke da an den Fall eines Priesters im Erzbistum Köln, der private Verbindlichkeiten hatte und das Erzbistum für diese Verbindlichkeiten aufgekommen ist.

Mückl: Das hätte aus Rechtsgründen das Erzbistum nicht tun müssen. Diese Entscheidung ist wohl aus anderen Motivationen heraus getroffen worden. Der Fall der Verbindlichkeiten ist ein schönes Beispiel für – wie die Juristen sagen – einen Exzess des Amtsträgers. 

Der Dienstherr soll nach der Wertung des Gesetzgebers für die Handlungen haften, die sich in der schlechten Ausübung des übertragenen Amtes realisieren, aber nicht für alles, was ein Beamter – in diesem Fall ein Priester – tut. Der Tatbestand lautet eben nicht, der Dienstherr haftet "für Verfehlungen seines Beamten", sondern er haftet für das, was dieser "in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes" als Pflichtverletzung begeht.

Symbolbild Geld und Kirche / © Julia Steinbrecht (KNA)
Symbolbild Geld und Kirche / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Am 2. Juli soll die Verhandlung laufen. Was würde passieren, wenn das Gericht bei der Urteilsfindung der Auffassung des Erzbistums Köln folgt oder vielleicht auch nicht folgt? 

Mückl: Jeder Fall, der vor Gericht verhandelt wird, ist zunächst ein konkreter Einzelfall. Freilich kann eine bisher offene Rechtsfrage über den konkreten Fall hinaus als Leitlinie für die künftige Rechtsprechung entwickelt werden. 

Im aktuellen Fall ist in der Tat noch die Abgrenzung zu leisten: Was bedeutet im Kontext des kirchlichen Dienstes "in Ausübung eines anvertrauten öffentlichen Amtes"? Im Gegensatz dazu steht, im juristischen Sprachgebrauch, der Begriff "bei Gelegenheit". Da gibt es in der Rechtsprechung schon zahlreiche Kriterien.

Auf der eine Seite ist die grundsätzliche Haftung, auch der Kirche, für Verfehlungen ihrer Amtsträger entwickelt worden. Schon in den 1950er Jahren war der Fall eines protestantischen Pastors zu entscheiden, der mit seinem Auto auf einer Dienstfahrt einen Personenschaden verursacht hat. Ergebnis: Die Kirche haftet. 

Umgekehrt hatte schon das Reichsgericht entschieden, also vor etwa 100 Jahren, dass der Dienstherr nicht haftet, wenn der Beamte sein Dienstfahrzeug missbräuchlich für eine Privatfahrt nutzt und dabei einen Schaden verursacht. Es geht also um die Abgrenzung der Verantwortungssphären. Diese Aufgabe wird das Gericht zu leisten haben.

Gerade in diesem Fall aber dem Erzbistum Köln "Sabotage" der Aufklärung von Missbrauch vorzuwerfen, ist durch die Tatsachen nicht belegt: Das Erzbistum hat sich dem Verfahren gestellt und nicht – was es juristisch hätte tun können – die Einrede der längst eingetretenen Verjährung erhoben. Es war der gegenwärtige Erzbischof, der nach neuerlicher Durchsicht der sogenannten Altfälle den betreffenden Priester sanktioniert und an die Staatsanwaltschaft gemeldet hat.

Stefan Mückl

"Generell scheint mir, aus räumlicher wie sachlicher Distanz geurteilt, gerade in Köln die Aufklärung der Missbrauchsfälle deutlich weiter fortgeschritten zu sein als andernorts."

Generell scheint mir, aus räumlicher wie sachlicher Distanz geurteilt, gerade in Köln die Aufklärung der Missbrauchsfälle deutlich weiter fortgeschritten zu sein als andernorts. Es wurden gleich zwei umfangreiche Gutachten in Auftrag gegeben, die eingehend öffentlich diskutiert worden. Andere Bistümer haben bis heute noch nicht einmal ein Gutachten angefordert und rechtfertigen dies damit, sie hätten kein Geld. Es erstaunt, dass sich hier nicht der leiseste Protest erhebt.

DOMRADIO.DE: Das heißt, die juristische Betrachtung des Falls ist eine andere als die sakramental theologische?

Mückl: Das kann man so formulieren. Denn hier geht es um staatliches Haftungsrecht.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Zur Person: Rechtswissenschaftler Stefan Mückl, habilitiert im deutschen Öffentlichen Recht, ist seit zehn Jahren Professor für Kirchenrecht in Rom.

Anmerkung: Das Interview ist in Absprache mit dem Gesprächspartner an einer Stelle nachträglich redaktionell überarbeitet worden.

Quelle:
DR